Licht und Emanzipation

Ein Gespräch über Licht mit Sinthujan Varatharajah

சிந்துஜன் வரதராஜா (Sinthujan Varatharajah) ist ein*e politische*r Geograph*in, Forscher*in und Essayist*in in Berlin. Sinthujans Arbeit erforscht Staatenlosigkeit, Mobilität und Vertreibung mit einem Schwerpunkt auf Infrastruktur, Logistik und Architektur. In den Jahren 2017 – 2018 war Sinthujan Vorstandsmitglied des Asylbeirats der Europäischen Kommission. Im Jahr 2020 war er*sie Teil der 11. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst mit der Forschungs- und Kunstinstallation “how to move an arche”.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte Sinthujan das Buch நாம் விடடுச ச் ென்ற இடங்களளை நோகக (an alle orte, die hinter uns liegen), das einen Bogen von der Flucht seiner*ihrer eigenen Familie aus Eelam, der tamilischen Region des heutigen Sri Lanka, nach Deutschland spannt, um Migration, Asyl und die anhaltende Allgegenwart kolonialer Denk- und Handlungsmuster zu erkunden. Erfahrungen und Praktiken mit Licht sind in Sinthujans Praxis allgegenwärtig. an alle orte, die hinter uns liegen beginnt mit der Betrachtung eines Fotos von Sinthujans Mutter und reflektiert dann über Fotografie als Waffe der Unterwerfung und als Werkzeug der Selbstermächtigung und Befreiung. Ihre*seine Installation auf der Berlin Biennale beleuchtete bisher verborgene Aspekte der Geschichte, insbesondere die Erfahrungen der tamilischen Eelam-Flüchtlinge während der deutschen Teilung. Andere Projekte haben sich mit der Architektur von Flüchtlingsunterkünften befasst. Wir trafen uns mit Sinthujan in ihrer*seiner Berliner Wohnung, um über ihre*seine aktuellen Projekte zu sprechen und darüber, wie sie*er in ihrer Forschung, ihrem Schreiben und ihrem Alltag mit Licht umgehen.

Sinthujan, worüber denkst und schreibst du in diesen Tagen?

Gerade denke ich daran, wie schön es wäre, wenn es ein Grundeinkommen für alle Menschen gäbe und niemand für den Lebenserhalt und -unterhalt arbeiten muss – und ausgebeutet werden muss. Leider ist dem aber noch nicht so. Ich arbeite unter anderem deshalb gerade an unterschiedlichen Textprojekten: zunächst an meinem zweiten Buchprojekt, das sich grob mit dem Phänomen des Tourismus beschäftigt. Nebenbei arbeite ich aber auch an zwei anderen Texten: einen Essay über die Beziehung von Videospiele zur Stadtplanung für eine Anthologie und einen Vortrag über die Frage von Klimagerechtigkeit im Kontext von Klimaflucht für ein Münchner Theater.

Wenn du an Licht denkst, welche Eindrücke oder Erfahrungen kommen dir in den Sinn?

Ich muss immer daran denken, dass Licht sehr viel mit Klasse zu tun hat. Spezifischer der Zugang zu Tageslicht. Glas als Baumaterial war sehr lange ein Vorrecht der Reichen. Und auch heute noch kann man* an der Größe von Fenstern und der Helligkeit von Wohnungen in etwa Wohlstandsdiskrepanzen lesen. Glasfassaden sind noch immer Statussymbole. Ich lebe zum Beispiel in einem Haus, das aus der Ferne auch als Platte interpretiert werden kann. Bei näherer Betrachtung wird jedoch klar, dass die Fenster der Wohnungen sehr großzügig sind, anders als bei vielen tatsächlichen modernen Sozialbauten. Daran kann man* erkennen, dass ein anderes soziales und ökonomisches Milieu in diesem Haus wohnen muss. Was vielleicht auf den ersten Blick wie eine Platte erscheint, ist tatsächlich jedoch ein sogenanntes Designhaus, in dessen Woheinheiten Glasfassaden ein zentrales Element bilden, dass die Wohnungen erst zu dem machen, was sie sind. Lebensqualitätsverbessernd. Sie sollen, zumindest von Innen betrachtet, Erweiterungen zu ihrer Umgebung darstellen.

Gibt es Rituale mit Licht, die für dich wichtig sind?

Ich wache gerne mit der Sonne auf. Das heißt, ich mag es, meinen Körper und Geist mit dem natürlich Lichtverlauf in Gang zu bringen. Im Umkehrschluss heißt es auch, dass ich es nicht mag, in komplett abgedunkelten Räumen zu schlafen, die mein Körpergefühl und -beziehung zur Sonne, aber auch den Mond verzerren.

Welche Rolle spielt das Licht für dein Wohlbefinden?

Ich bin ein sehr lichtsensibles Lebewesen. Bevor ich in meine derzeitige Wohnung gezogen bin, lebte ich lange im Erdgeschoss einer Altbauwohnung, also einer typischen Berliner Mietskaserne aus den sogenannten Gründerjahren. Das war natürlich keine freiwillige Entscheidung, sondern geschuldet an den rassistischen und klassizistischen Bedingungen des Wohnungsmarktes in Berlin. Dort gab es kein direktes Sonnenlicht, da die Häuserfassaden sehr hoch waren und relativ eng beieinander standen. Das heißt, es war notorisch düster und das hat sich schnell auf mein Gemüt und allgemein meine Lebensqualität ausgewirkt. Es hat mich sehr unglücklich gemacht. Tatsächlich war ich deshalb tagsüber kaum zu Hause. Stattdessen lief ich draußen der Sonne und dem Tageslicht hinterher.

Wie nutzt du das Licht in deiner Wohnung?

Ich nutze Licht, um Stimmungen zu setzen, vor allem ein W.rmegefühl zu schaffen, das mir hilft, den Tag entspannt ausklingen zu lassen. Tatsächlich bevorzuge ich normalerweise indirektes Licht mehr noch als direktes Licht und habe dementsprechend mehrere Lichtquellen in meiner Wohnung.

Du hast in der Vergangenheit gesagt, dass “entdeckt worden zu sein und sichtbar zu sein, auch eine Art von Gefangenschaft bedeuten kann”. Wie können wir über Sichtbarkeit auf emanzipatorische Weise nachdenken?

Ich bin oft fasziniert von der Art, wie vielseitig Menschen ihre Handylichter im Alltag verwenden. Wie sie als Erweiterung von zum Beispiel Feuer dienen. Häufig geschieht das ja auf Konzerten, wenn zum Beispiel Handykameras Kerzenlicht ersetzen sollen. Das passiert vor allem bei Balladen. Gleichzeitig wird diese Technologie auch auf Protesten verwendet, um diese nicht nur zu beleuchten, sondern auch den Raum, vom Boden bis zum Himmel, zu markieren und damit unübersehbar, das heißt, unignorierbar zu werden. Wenn man* zurückblickt, merkt man* wie elementar Licht in der Form von Feuer bei Protesten war. Ob in der Form von Fackeln, aber auch anderen brennenden Gegenständen, wie zum Beispielen Dochten. Natürlich ist sichtbar sein, sich kenntlich zu machen, auch ein grundsätzlicher Teil vieler emanzipatorischer Bewegungen. Das merkt man* auch, wenn Licht verwendet wird, um auf ein Unrecht zu deuten.

Welche Lichtpraktiken inspirieren dich in deiner Umarmung von Fluidität, Möglichkeit und Freiheit?

Feuer hat in meiner Kultur einen sehr hohen Stellenwert. Es ist zentral in vielen unserer Zeremonien, ob feierlicher oder trauriger. Alles beginnt mit dem Entzünden einer Flamme. Sie trägt einen großen symbolischen Wert. Lange war es für Eelam Tamil*innen vom sogenannten sri lankischen Staat verboten, an unseren nationalen Gedenktagen Flammen anzuzünden. Die Menschen haben es aber dennoch getan, um unseren Getöteten zu gedenken.

Und welches Licht inspiriert dich?

Das natürliche Licht in all seinen unterschiedlichen Facetten. Die Art, wie es sich auf meiner Haut anfühlt und wie es in meinen Körper dringt.

Ein Gespräch zwischen Sinthujan Varatharajah und Eliza Apperly, Berlin 2023